Die Schilderung des Unmöglichen
Zu den Landschaftsbildern von Wieland Payer

Björn Egging

Wieland Payer ist Landschaftsmaler, oder besser gesagt, Landschaftszeichner mit einem Hang zur Druckgrafik, von der er kommt. Aktuelle Arbeiten entstehen meist in Bleistift oder Kohle auf Pastell und zeichnen sich durch eine detaillierte Exaktheit in der Wiedergabe der Natur aus.

Ausschnitte und Perspektiven seiner Landschaftsansichten sind so gewählt, dass der Eindruck entsteht, der Künstler sei selbst dabei gewesen; er sei auf Expeditionsreise gerade durch ein Dickicht geschlüpft und habe fasziniert den atemberaubenden Blick auf ein Tal oder einen Berg skizziert und später im Basislager daraus eine bildmäßige Komposition geschaffen. Oder als habe er sich bei den älteren Kleinformaten, den Pionieren und den Baumartigen, tatsächlich vor Ort auf einem Klapphocker die Zeit genommen, diese unbekannten Gebilde zwischen Exotik, Mutation und Science-Fiction möglichst genau zu erfassen, aus naturkundlicher Neugier und im Bewusstsein, sich unter Umständen in Gefahr zu begeben.

Der Künstler ist tatsächlich dabei gewesen, aber meist nicht mit dem Skizzenbuch, sondern mit der Kamera. Wieland Payer ist ein leidenschaftlicher Reisender und tatsächlich viel in den Bergen unterwegs. Zu der jüngsten Serie von Arbeiten mit dem Titel Colloro hat ihn ein Aufenthalt am gleichnamigen Ort in der Nähe des Lago Maggiore inspiriert. Hier entstanden in den Bergen die fotografischen Vorlagen, die durch ihren spezifischen Blick Teil des künstlerischen Konzeptes sind. Dazu später mehr.

An Wieland Payers Landschaften fallen zwei Eigenschaften sofort auf. Sie sind in der Regel menschenleer, und irgendetwas stimmt mit ihnen nicht. Sonderbare Phänomene prägen die Naturansichten: Einzelne fremdartige Pflanzen, optische Täuschungen oder Lichtreflexe, Himmelserscheinungen, sich unnatürlich auftürmende Wolken, große geometrisch angelegte Flächen von eigenartiger Künstlichkeit, über die Bildfläche verteilte farbige Punkte, die sich den Landschaften nicht sinnvoll zuordnen lassen, futuristisch anmutende Architekturen, Gebäude aus nacktem Beton, manchmal schon im ruinenhaften Zustand, sendemastartige Türme und rätselhafte verlassene Siedlungen, manchmal auch Gegenstände, die nicht von dieser Welt sind. Oder die lediglich nicht in der äußeren Wahrnehmungswelt vorkommen, sondern innere Projektionen sind, Visualisierungen des Unvorstellbaren oder des Bedrohlichen, sei es nun etwas von außen oder aus uns selbst. In die Kunst sind diese inneren Vorstellungsbilder vor 100 Jahren mit der Erfindung der Abstraktion gelangt. Gerade die geometrischen Formen, die Raster und farbigen Punkte, die sich in Wieland Payers Bildern flächig und scheinbar ohne jeden Bezug zur Darstellung über oder hinter die Landschaft legen, können auch als rein ungegenständliche Bildelemente gelesen werden, die nur eine innerbildliche „ästhetische“ Funktion haben. Allerdings sorgt der präzise Naturalismus in Verbindung mit der suggestiven Atmosphäre der Bilder dafür, dass der Betrachter die ungegenständlichen Bildteile als gegenständlich lesen möchte, wodurch sie ihre reale Fremdartigkeit noch steigern.

Da gerade in jüngerer Zeit Wieland Payers Bilder natürliche Landschaften zeigen, denen das Dramatisch-Heroische abgeht, haben die hineinmontierten Erscheinungen eine besonders irritierende Wirkung, die deutlich geringer ausfiele, wenn der Künstler seine Landschaften von Anfang an als überbordende Fantasy-Schauplätze konzipiert hätte. Der Kontrast, der aus der Kombination einer natürlichen Alpenlandschaft mit dem Andersartigen resultiert, ist so dosiert, dass die Darstellungen zwar befremdlich wirken und zum Teil beklommen machen, aber keineswegs unsinnig und unmöglich erscheinen – im Gegenteil.

Was uns Wieland Payer vor Augen führt, sind Gegenden, in die eingegriffen wurde, mit irgendetwas und durch irgendjemanden. Nur was dort wirklich vor sich geht, wissen wir nicht. Aber die Kombination aus fotografischem Blick und zeichnerischer Ausführung suggeriert uns, ziemlich sicher sein zu können, dass es wahr ist, dass uns hier ein Naturforscher, ein wissenschaftlicher Zeichner im Gefolge oder in der Nachfolge eines Georg Forster und Alexander von Humboldt Beobachtungen schildert, die er mit eigenen Augen oder entsprechendem optischen Gerät gesehen haben muss, und die wir heute aus der gewohnten Perspektive des Fotografischen als umso authentischer empfinden. Dass die Orte menschenleer sind, könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Künstler allein unterwegs war, aber auch anzeigen, dass der Mensch in den Bildern nichts zu suchen hat, weder als romantische Rückenfigur noch als Akteur, der hier höchstens Gefahr liefe, kontaminiert zu werden. Vielleicht ist der Mensch in den Zonen der Beobachtung schlichtweg nicht mehr anwesend. So schleicht sich eine zeitliche Dimension in die Bilder, die sie in die Zukunft verweisen kann, in der es keine Menschen mehr geben mag. Oder ist doch die Gegenwart gemeint? Der Künstler spricht selbst von einem gewissen „apokalyptischen Feeling“, wenn er an die Zerstörung der Natur denkt, nicht zuletzt verursacht durch einen architektonischen Brutalismus, wie er auch in einigen Werken vorkommt, aber in manchen Fällen funktionieren Payers Prospekte auch als Seelenlandschaften und Stimmungsmetaphern im Sinne der 200 Jahre zurückliegenden Romantik.

Die Beziehung von Wieland Payers Landschaften zu Bildern der Romantik ist hergestellt worden. Das Panorama oder auch der engere Blick in einen Wald, die diffuse Farbigkeit und die Stille und Unberührtheit sind dafür anführbar. Von Caspar David Friedrich und einer bestimmten düsteren landschaftlichen Ausprägung der „Schwarzen Romantik“ ließe sich der Weg über Arnold Böcklins symbolistische Naturauffassung und die surrealistischen Alptraumwälder bei Max Ernst bis hin zu den heutigen „Wunschwelten“ eines Peter Doig oder David Thorpe weiterführen.

Wieland Payers künstlerisches Vorgehen ist dabei allerdings subtiler als das der erwähnten Vorgänger und Kollegen, auch nüchterner, weil er weder schockierende Weltuntergangsszenarien noch schmerzvolle Selbstreflexionen entwirft, sondern nur das mit gefesseltem Blick und ruhigem Puls festhält, was er an natürlichen und unnatürlichen, für das menschliche Auge sichtbaren und unsichtbaren Phänomenen, deren Auswirkungen offen bleiben, aufnimmt, in einem konstanten Zyklus des Werdens und Vergehens der Natur und der Welt, was den Künstler als Denkfigur fasziniert und als Ausblick beruhigt. Auch Andrei Tarkowskis Science-Fiction-Klassiker Stalker und dessen literarische Vorlage der Brüder Arkadi und Boris Strugatzki, Picknick am Wegesrand, sind schon mit Payers Bildern in Zusammenhang gebracht worden. Bestimmte inhaltliche und atmosphärische Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Wenn der Trupp von Schatzsuchern im Buch der Brüder Strugatzki in die außerirdisch kontaminierten Zonen aufbricht und dort auf die gefährlichen Hinterlassenschaften der Erdbesucher trifft, so geschieht das alles in fast selbstverständlicher Beiläufigkeit, denn man hat sich an das völlig Unvorstellbare eines außerirdischen Besuches schon gewöhnt.

Auch Wieland Payers Bilder wirken auf den ersten Blick wenig dramatisch und bedrohlich. Es sind nüchterne Schilderungen uns fremder Vorkommnisse, die aus wissenschaftlichen Gründen erst einmal erfasst werden müssen, bevor man sie weiteren Analysen unterzieht. Wobei keineswegs klar ist, dass es sich bei den sonderbaren Erscheinungen um außerirdische Einwirkungen handelt. Sie können auch irdischen Ursprungs sein, vielleicht die Visualisierung einer bestimmten natürlichen oder künstlichen Strahlung, vielleicht die Sichtbarmachung einer flächendeckenden Kommunikations- oder Überwachungstechnologie – wer weiß. Darüber hinaus funktionieren Wieland Payers Landschaften auch als Bilder und kluge Kommentare zur Kunstgeschichte, die ihre medialen Entstehungszusammenhänge reflektieren und souverän aus dem Arsenal des 20. Jahrhunderts schöpfen: Selten begegnen sich in der zeitgenössischen Malerei Figuration und Ungegenständlichkeit so selbstverständlich wie hier. Dass sich der Künstler gestalterischer Mittel bedient, die die Beweiskraft der Bilder verstärken, ist zudem ein suggestiver Kniff. Die Kombination aus fotografischem Blick, zeichnerischer Erfassung als historischem Medium der Wissenschaft sowie einer guten Portion an undramatischer Bestimmtheit und kompositorischer Reduktion vermitteln dem Betrachter ein hohes Maß an Wahrhaftigkeit. Dies erinnert ein wenig an das Prinzip der Verwendung von Fotografien im Surrealismus, denn die Überzeugungskraft der imaginierten Bilder aus Fotomontagen und technischen Experimenten gründete trotz aller Verfremdung stets auf dem beglaubigenden Charakter des fotografischen Dokuments. Die feine Schilderung des Unmöglichen, die sowohl die Welt sein kann als auch nur Bild aus Gegenständlichkeit und Abstraktion, macht den künstlerischen Stellenwert von Wieland Payers Arbeiten aus.